Krank durch sexuelle Gewalt

Über sexuelle Gewalt und ihre Auswirkungen

Sexuelle Gewalt macht krank. Sie richtet schweren Schaden in der Psyche der betroffenen Personen an.
Allein aus diesem Grund finden Sie diesen Artikel unter „Krankheiten der Psyche“.

Bislang wurde statt von sexueller Gewalt von sexuellem Missbrauch gesprochen.
Die anerkannte Definition lautet: Sexueller Missbrauch ist eine Handlung gegen den Willen/das Einverständnis einer Person, wobei die missbrauchte Person sich in physischer, seelischer oder mentaler/sprachlicher Abhängigkeit und/oder Unterlegenheit befindet.
Das trifft in erhöhtem Maß auf Kindesmissbrauch zu.
Ich benutze hier den Begriff der Gewalt um zu vermeiden, dass der Gedanke entsteht, neben sexuellem Missbrauch könne es einen „wahren Gebrauch“ von Sexualität geben.
Sexualität ist immer individuell.

Fakten:

Sehr oft entstammt der Täter der eigenen Familie oder dem unmittelbaren Freundes- und Bekanntenkreis und nutzt somit seinen Status als „vertraute Person“ aus.

Oft wird zudem ein vermeintliches Bündnis zwischen Täter und Opfer geschlossen, indem der Täter sein Opfer zu Verschwiegenheit anhält. („Das bleibt unser Geheimnis“.) oder gar bedroht.

Drei Viertel der Opfer sind Mädchen.

90% der Täter sind Männer.

Die Dunkelziffer bei der Erfassung von Missbrauchs- (Gewalt-)delikten wird als extrem hoch eingeschätzt, was zum einen auf nach wie vor anhaltende Tabuisierung zurück zuführen ist, aber auch auf Schuld-und Schamgefühle auf Seiten der Opfer.

Und selbst, wenn eine Person von ihrem Missbrauch erzählt, kommt es häufig zusätzlich zu Verschleierungstaktiken und/oder Leugnung von Seiten des Täters oder des Umfelds bis hin zur Stigmatisierung der betroffenen Person selbst. Nicht selten findet eine Verdrängung bis hin zum vollständigen Vergessen der Gewalttat statt.

Es gibt eine Reihe von Anzeichen oder Symptomen und Verhaltensweisen, die auf sexuelle Gewalt hinweisen.

Da ist zunächst einmal das diffuse, aber starke Gefühl:

Mit mir stimmt etwas nicht.“

Ein Opfer sexueller Gewalt hat ein schweres Trauma durchlebt. Daneben bedingt die Konstellation von Opfer und Täter und die Beschädigung nicht nur des Körpers, sondern in erster Linie des Selbstwertgefühls und der eigenen Grenzen, die immerwährende Unsicherheit über die eigene Person sowie das eigene Erleben begleitet mit tiefsitzenden Schuldgefühlen.
Diese Unsicherheit rührt eben aus der Verletzung der Grenzen: Wo Grenzen nicht mehr „heil“ sind entsteht eine Brüchigkeit der eigenen Wahrnehmung und gleichzeitig eine höhere Vulnerabilität gegenüber weiteren Verletzungen.
Ein weiter Faktor für das Entstehen der Unsicherheit ist die Bindung an die Täter: Es scheint unmögliche, der vertrauten Person, mit der es womöglich auch 
positive Erfahrungen gibt, gleichzeitig übergriffiges schädigendes Verhalten zuzutrauen.

Es können auch Kompensationsmechanismen auftauchen, die sich in Abspaltung von Emotionen, Zwangsverhalten oder nimmermüder Betriebsamkeit und Fluchten auf sehr verschiedenen Ebenen äußern.

Mögliche Gefühle und Gedanken aufgrund der Erfahrung von sexueller Gewalt sind:

  • sich wie beschmutzt fühlen
  • sich wertlos fühlen
  • sich gleichzeitig schuldig fühlen
  • wiederkehrende depressive Verstimmungen
  • Selbsthass 
  • diffuse Ängste
  • unkontrollierter Zorn oder diffuse Wut
  • relative Emotionslosigkeit
  • wiederkehrende Erschöpfungszustände
  • Angst vor anderen
  • extreme Entscheidungsunsicherheit

sowie:

  • stets widersprüchliche Gefühle zu erleben wie Erregung mit Schamgefühlen
  • sich geliebt fühlen und gleichzeitig das Gefühl zu haben, wertlos zu sein
  • sich voller Energie zu fühlen und bei Rückschlägen das Gefühl des vollständigen Scheiterns haben

Mögliche Handlungen nach Erfahrung sexueller Gewalt sind:

  • Selbstverletzungen
  • Vernachlässigung des eigenen Körpers und Selbsthass
  • Sauberkeits- und Waschzwänge (bedingt einerseits durch das Gefühl, beschmutzt worden zu sein, andererseits durch den Wunsch, äußere Ordnung möge helfen, das innere Chaos zu beseitigen)
  • Suchtverhalten in vielfältigen Formen
  • Vermeidung von emotionaler Nähe
  • Vermeidung von körperlicher Nähe
  • häufige und wechselnde Sexualkontakte aufgrund einer falschen Prägung auf Sexualität (Lust und Sexualität haben hierbei den Beigeschmack von Scham, Schmerz und Demütigung, der Missbrauch hat eine Verknüpfung hergestellt zwischen dem Wunsch nach Zuneigung und sexuellen Handlungen)
  • Selbstboykott wie: Beziehungen zerstören, Jobs hinwerfen, Dinge nicht zuende bringen
  • die Entwertung von Erreichtem und von Freundschaften sowie Liebesbeziehungen
  • die Aufnahme oder Wiederherstellung einer unguten Beziehung, in der das Opfer den Verrat erneut durchlebt
  • die Ausprägung eines deutlichen Helfersyndroms oder im Gegenteil eigene Gewalttätigkeit und Zerstörungswut

Dies stellt nur eine Auswahl aller Gefühle und Handlungen von Missbrauchs-Opfern dar. Häufig finden sich auch diverse psychosomatische Symptome oder schlimmstenfalls organische Erkrankungen, die auf extreme körperliche Gewaltanwendung zurück zuführen sind.

Dazu gehören unter anderem:

  • Schlafstörungen, insbesondere wiederkehrende Alpträume
  • Verdauungsstörungen/Magenschmerzen
  • Hauterkrankungen
  • Schmerzerkrankungen (sowohl organisch als auch psychisch bedingt)
  • erhöhte Schmerzsensibilität
  • Lähmungserscheinungen
  • Essstörungen
  • Kreislauf-und Nervenerkrankungen
  • Schmerzen im Genital- oder Analbereich in akuten Situationen oder in späterem sexuellen Kontakt

Auch die Bewältigungsmechanismen nach Erleben sexueller Gewalt sind vielfältig.

Es kann zu

  • Verdrängung
  • Verleugnung
  • Abspaltung (vom eigenen Körper oder der eigenen Gefühle)
  • Kompensationsmechanismen
  • Kontrollmechanismen (des eigenen Lebens oder über bestehende Beziehungen)
  • Fluchtverhalten (Drogen, Arbeit, dauerhafte Ablenkungen, Weglaufen bei Kindern und Jugendlichen)
  • Selbstverletzung und Suizid
  • sowie weiteren schweren psychischen Störungen kommen.

Der Heilungsprozess von Menschen, die sexuelle Gewalt erfahren haben, ist ein langer und schmerzhafter Weg.
Das schwierigste daran sind oft die unbedingt erforderliche Anerkennung der Tatsache:
Ich bin missbraucht worden“ und die fälschliche Annahme des wiederkehrenden quälenden Gedankens:
„Bin ich schuldig an dem, was mir angetan wurde?“. Die Antwort lautet hier immer: nein.
Die Schuldzuschreibung an das eigene Selbst verstehe ich als unbewussten Wunsch der missbrauchten Person der erlebten Ohnmacht etwas entgegensetzen zu können.
Das Erinnern und Anerkennen dessen, was tatsächlich passiert ist, reisst alte Wunden auf und stellt das Opfer womöglich vor die Schwierigkeit der Konfrontation nicht nur mit dem eigenen Erleben, sondern auch mit dem Umfeld: sprich, mit dem Täter, sowie dem Verhältnis zu ihm oder ihr oder auch den Personen, die zur Verdrängung beigetragen, womöglich weg gesehen oder das Opfer nicht angemessen unterstützt und beschützt haben.

Oftmals ziehen betroffene Personen, wie schon oben angesprochen, die eigene Urteilsfähigkeit infrage:
Es kann doch nicht sein, dass mir das passiert ist/dass X mir das angetan hat“ oder glaubt unbewusst:
„Das habe ich verdient“. In dem Zusammenhang kann es zu Wiederholungen von Missbrauch und weiteren Gewalterfahrungen in späteren Beziehungen kommen.

Der Glaube an die eigene Erinnerung, an die Tatsache des Missbrauchs, ist oftmals der erste schwierige Schritt.
Schmerz, Trauer und Wut folgen.

Zur Aufarbeitung eines sexuellen oder anderen Gewalttraumas ist es wichtig, sich anderen Menschen anvertrauen zu können.
Dazu gehören eine einfühlsame und respektvolle professionelle Begleitung durch eine Therapeutin, aber auch das Einbeziehen von guten Freunden und oder dem Partner oder der Partnerin.
Hierbei machen Missbrauchsopfer womöglich die Erfahrung, sich zum ersten Mal in ihrem Leben so zeigen zu können, wie sie wirklich sind. 

Neben der individuellen Biografie und die persönlichen Erfahrungen ist es meines Erachtens besonders wichtig, auf die vielfältigen Machtstrukturen unserer Gesellschaft einzugehen, die Missbrauch überhaupt erst ermöglichen. Missbrauch ist Gewalt am anderen Menschen, so wie Krieg Gewalt an einem anderen Land oder einer anderen Bevölkerungsgruppe gegenüber ist. Beides ist nicht tolerierbar. Gern führe ich mit Ihnen Gespräche zu den Themen patriarchale Gewaltausübung und neuer Feminismus.

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